Ab morgen wieder aktueller denn je: Thesen des Urteils zur Mietzinsminderung wegen COVID-19 bei Gewerbeimmobilien

16.11.2020 – need2know

Durch die Ausgangsbeschränkungen samt behördlich verordneter Geschäftsschließungen ab März dieses Jahres, stellte sich für eine Vielzahl an Mietern und Vermietern die Frage, ob Mieter, die ihren Geschäftsbetrieb durch den Lockdown nicht mehr ausüben konnten, weiter zur Mietzinszahlung verpflichtet waren.

Im Fall eines Wiener Friseurs verneinte nunmehr das Bezirksgericht Meidling als erste Instanz eine Pflicht zur Mietzinszahlung für den Zeitraum des Lockdowns.

  • Zum Verfahren und den vorgebrachten Argumenten

Im gegenständlichen Fall zahlte der beklagte Friseur im April 2020 keine Miete, aber sehr wohl Betriebskosten. Der Friseur begründete dies mit §§ 1096 und 1104 ABGB, die eine Mietzinsbefreiung im Fall eines „außerordentlichen Zufalls“ wie etwa bei einer „Seuche“ ermöglichen. Die Covid-19-Pandemie wäre nach der Ansicht des Friseurs als solche Seuche einzustufen, die zu einer Unbenutzbarkeit des Mietobjekts und somit zum Mietzinsentfall führe. Der Vermieter widersprach und klagte den Friseur auf Zahlung der Miete samt Räumung aufgrund der unbeglichenen Mietraten. Der Vermieter scheiterte vor dem Bezirksgericht Meidling als erste Instanz mit der Räumungsklage.

Eingangs führte das Gericht aus, dass die Corona-Pandemie grundsätzlich eine Seuche darstelle und somit unter § 1104 ABGB zu subsumieren wäre. Das Gericht verwarf somit den Einwand des Klägers, dass es sich hierbei um ein Risiko aus der Sphäre des Bestandnehmers oder um ein von ihm zu tragendes allgemeines Lebensrisiko handle.

Gemäß § 1104 ABGB träte eine Zinsminderung nicht nur dann ein, wenn die Bestandsache selbst mangelhaft ist, sondern auch dann, wenn der Bestandnehmer aus nicht aus seiner Sphäre stammenden Gründen an der vertragsgemäßen Nutzung gehindert ist. Es werde nicht auf die absolute Unmöglichkeit der Benützung abgestellt, sondern auf die Unmöglichkeit der Benützung zum bedungenen Gebrauch. Wesentlich wäre daher der vertraglich bedungene Verwendungszweck des Mietgegenstands (hier sehr eingeschränkt: nur „Frisiersalon“). Für den Bestand einer Mietzinszahlungspflicht kommt es daher darauf an, dass die dem vereinbarten Geschäftszweck entsprechende unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise auch ohne unmittelbaren Kundenkontakt in den Verkaufsräumen möglich wäre. Gerade dies sei aber im vorliegenden Sachverhalt nicht der Fall gewesen, da aufgrund der behördlichen Schließung gar keine unternehmerische Tätigkeit möglich war. Zum Einwand des Klägers, dass das Geschäftslokal weiterhin zur Lagerung diene, führte das Gericht aus, dass dies irrelevant sei. Die bloße Tatsache, dass der Mieter die Räumlichkeiten auch für das Lagern von Sachen nutzte, reiche nicht aus, wenn die eigentliche geschäftliche Tätigkeit, der die Lagerung dient, durch räumliche Beschränkungen gänzlich verunmöglicht wurde. Die Lagerung von Waren sei nur dann zu berücksichtigen, wenn die Lagerung typischerweise für den eigentlichen Betriebszweck als Verkaufslokal erforderlich ist. Das ist bei einem Friseur gerade nicht der Fall. Zwar würden üblicherweise einzelne Produkte ausgestellt werden, eine darüberhinausgehende Lagerhaltung sei aber nicht gegeben.

Auch das Argument der klagenden Partei, dass Kunden das Geschäftslokal aus Angst ohnehin nicht betreten hätten, wurde verworfen, da es nur darauf ankomme, ob das Geschäftslokal zum bedungenen Zweck benutzt werden könne. Unerheblich sei auch, welchen Umsatz die beklagte Partei in den Folgemonaten hatte: Gerade im Friseurgewerbe sei ein Nachholeffekt ausgeschlossen, weil der Besuch bei einem Friseur, auch wenn er später als ursprünglich geplant erfolgte, dennoch nur dieses eine Mal erfolgen kann; niemand ginge nach kurzer Zeit noch einmal zum Friseur, damit er seine sonst übliche Anzahl an Friseurbesuchen einhält. Dies unabhängig davon wie groß der vom Kläger als „optische Verwahrlosung“ bezeichnete Haarwuchs ausfallen würde.

  • Führt das Urteil zu einer abschließenden Klärung der Sache?

Trotz recht ausführlicher Begründung des Bezirksgerichts Meidling ist der Themenkomplex rund um Mietzinsbefreiungen und Mietzinsminderungen im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie nicht abschließend geklärt. Einerseits handelt es sich hier lediglich um eine erstinstanzliche Entscheidung, die noch nicht höchstgerichtlich bestätigt wurde. Anderseits behandelt die Entscheidung nur den Spezialfall eines Friseurs, dessen Sach- und Interessenlage sich nicht einfach mit anderen Branchen vergleichen lässt.

Dies gilt etwa im Zusammenhang mit einer Lagertätigkeit: Im Falle des Friseurs wurde eine Anrechnung der Lagermöglichkeit zu Lasten des Friseurs verneint. Es ist aber fraglich, ob dies auch bei Handelsgeschäften der Fall ist, bei denen die Lagerung von Waren einen weitaus größeren Stellenwert annimmt, als bei einem Friseur. Hierbei stellte das Gericht keine klaren Kriterien auf, unter welchen Umständen eine Lagerhaltung zu Lasten des Mieters anzurechnen wäre.

Ungeklärt bleibt auch die Frage, inwiefern die Ausübung von Online-Handel aus den Geschäftsräumlichkeiten sich auf die Möglichkeit einer Mietzinsreduktion oder eines Mietzinsentfalls auswirkt (eine konkrete Behauptung wurde dazu nicht aufgestellt, weswegen darauf nicht weiter eingegangen wurde).

Dementsprechend kommt es letztendlich immer auf die Auslegung des Mietvertrages an, zu welchem Zwecke das Mietobjekt vermietet wurde (vertraglich bedungener Verwendungszweck). Nur das „Reserviert Halten“ alleine begründet nicht die Mietzinszahlungspflicht nach Ansicht des Bezirksgerichts Meidling. Mieter von Mietobjekten bei denen lediglich der Kundenkontakt durch die Covid-Maßnahmen eingeschränkt wurde, Bürotätigkeiten aber weiterhin möglich bleiben, werden wohl nicht in den Genuss einer (gänzlichen) Mietzinsbefreiung kommen. Wesentlich ist nach dem Urteil des Bezirksgerichts Meidling der vertraglich bedungene Verwendungszweck – ausschlaggebend ist, dass die dem vereinbarten Geschäftszweck entsprechende unternehmerische Tätigkeit zumindest teilweise auch ohne unmittelbaren Kundenkontakt in den Verkaufsräumen möglich war. Auch trug die Auslage im konkreten Fall nicht zur weiteren Geschäftstätigkeit bei (Anlockung von Kunden, Werbung etc) – das könnte selbstverständlich in anderen Fällen anders sein.

Weiters ist zu beachten, dass der vom Bezirksgericht Meidling zu beurteilende Mietvertrag überhaupt keine Spezialregelungen zu § 1104 ABGB enthielt.

1104 ABGB ist dispositiver Natur, was bedeutet, dass Parteien einvernehmlich andere Regelungen treffen können. Hätte der Vermieter in seinem Mietvertrag eine Klausel aufgenommen, nach der den Mieter auch im Falle einer Unbenützbarkeit wegen einer Seuche das Mietzinsrisiko trifft, wäre der Mieter wohl weiterhin zur Mietzinszahlung verpflichtet gewesen.

  • Conclusio

Das Bezirksgericht Meidling bejahte die prinzipielle Anwendbarkeit des § 1104 ABGB, da COVID-19 eine „Seuche“ im Sinne des Gesetzes sei und für den sogenannten Lockdown ursächlich war. Da ein Friseur die Geschäftsräumlichkeiten im April wegen des Lockdowns nicht mehr für den Betrieb des Friseurgeschäftes nutzen konnte und auch eine anderweitige Nutzung des Mietgegenstands für den Friseur nicht möglich war (sehr enger vertraglich bedungener Verwendungszweck um konkreten Fall), bestand Anspruch auf Entfall des Mietzinses nach § 1104 ABGB.

Achtung: Ein genereller Anspruch auf Mietzinsentfall nach § 1104 ABGB wegen COVID-19 lässt sich aus diesem Urteil noch nicht ableiten. Ob ein Mieter trotz COVID-19 zur Zahlung des Mietzinses verpflichtet ist, hängt immer vom vereinbarten Mietzweck und den risikoverteilungsspezifischen Spezialregelungen ab. Hierbei handelt es sich stets um eine Einzelfallentscheidung und erfordert eine exakte juristische Prüfung des Mietvertrags.

Autoren:
Michaela Pelinka
David Pukel

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Liegenschafts- und Mietrecht