Legal Update: Unternehmen haften für Umwelt- und Sozialstandards ihrer Lieferkette

18. Jänner 2023 – need2know

Seit 1.1.2023 ist das deutsche Lieferkettengesetz anwendbar und für Unternehmen verbindlich. Auch auf EU-Ebene sollen Unternehmen künftig stärker für die Einhaltung des Schutzes der Menschenrechte und der Umwelt entlang ihrer Lieferkette in die Verantwortung genommen werden. Nachdem die Europäische Kommission am 23. Februar 2022 einen Vorschlag für eine Lieferketten-Richtlinie (Corporate Sustainability Due Diligence Directive) veröffentlicht hat, hat der Europäische Ministerrat im Dezember 2022 seine Verhandlungsposition zur Lieferketten-Richtlinie festgelegt („Entwurf LK-RL“). Auf dieser Grundlage wird die endgültige Fassung der Lieferketten-Richtlinie mit dem Europäischen Parlament in diesem Jahr verhandelt.

Der Entwurf LK-RL verpflichtet Unternehmen insbesondere zur

  • Implementierung von Compliance Strategien und der Einführung angemessener Beschwerdemöglichkeit,
  • Ermittlung, Vermeidung, Beseitigung bzw. Entschädigung negativer Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt (zB durch Präventionspläne oder durch vertragliche Zusicherungen, etc), sowie
  • Unterstützung von KMUs und zur Kooperation mit anderen Unternehmen.

Anwendungsbereich der Lieferketten-RL

Der Entwurf LK-RL richtet sich an folgende Adressaten:

Große Unternehmen“, die im letzten Geschäftsjahr

  • im Durchschnitt mehr als 500 Beschäftigte hatten
  • und deren weltweiter Umsatz 150 Mio. Euro übersteigt.

Mittelgroße Unternehmen“, die im letzten Geschäftsjahr

  • zwischen 250 und 500 Beschäftigte hatten,
  • einen weltweiten Umsatz zwischen 40 Mio. und 150 Mio. Euro erzielten und
  • die mindestens 20 Mio. Euro in einer ressourcenintensiven Branche erzielten (bspw. Textilproduktion, Land-, Fortwirtschaft oder Fischerei sowie Gewinnung von mineralischen Ressourcen). Politisch kontrovers wurde bis zuletzt diskutiert, ob auch Unternehmen, die regulierte Finanzdienstleistungen anbieten (zB Banken oder Wertpapierfirmen), von der Lieferketten-RL umfasst sein werden. Der Entwurf LK-RL sieht nunmehr einen politischen Kompromiss vor und delegiert diese Entscheidung an die Mitgliedstaaten.

Der Entwurf LK-RL erfasst neben allen EU-Unternehmen auch Unternehmen aus Drittstaaten, welche die relevanten Umsätze innerhalb der EU erwirtschaften. Dies soll etwaigen Wettbewerbsnachteilen von EU-Unternehmen gegenüber vergleichbaren Nicht-EU Unternehmen, die am EU-Markt tätig sind, entgegenwirken. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass ca. 13.000 EU-Unternehmen und 4.000 Unternehmen aus Drittstaaten vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind.

Abhängig von der spezifischen Größe der Unternehmen soll die Lieferketten-RL in drei bis fünf Jahren ab ihrem Inkrafttreten anwendbar sein.

Künftige Pflichten aus der Lieferketten-RL

Nach dem Entwurf LK-RL sollen Unternehmen sicherstellen, dass

  • sie selbst,
  • ihre Kunden und
  • ihre Zulieferer

auf den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt achten. Dabei geht es insbesondere um die Wahrung grundsätzlicher Arbeitnehmer- und Menschenrechte, der biologischen Vielfalt und Ökosysteme, der Gewässer und Atemluft und um die Bekämpfung des Klimawandels.

Konkret sieht der Entwurf LK-RL die folgenden unternehmerischen Sorgfaltspflichten vor:

  • Integration von Sorgfaltspflichten in die Compliance Strategien und Risikomanagementsysteme

Unternehmen haben in einer jährlich zu aktualisierenden Strategie anzuführen, wie sie der Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten nachkommen. Hierzu ist ein Verhaltenskodex zu erstellen, in dem die einschlägigen Regeln und Grundsätze definiert werden, die von Beschäftigten und Tochterunternehmen einzuhalten sind. Außerdem sind in der Strategie die Verfahren zur Umsetzung der Sorgfaltspflicht, einschließlich der Maßnahmen zur Überprüfung der Einhaltung des Verhaltenskodexes und zur Ausweitung seiner Anwendung auf Geschäftspartner zu beschreiben.

  • Pflicht zur Ermittlung negativer Auswirkungen

Große Unternehmen haben geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um tatsächliche und potentielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, die sich aus ihren eigenen Tätigkeiten oder denen ihrer Tochterunternehmen oder aus ihren Aktivitätsketten im Zusammenhang stehenden Geschäftspartnern ergeben.

Mittelgroße Unternehmen sollen verpflichtet werden, tatsächliche und schwerwiegende potentielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, die für den Sektor relevant sind.

  • Pflicht zur Vermeidung negativer Auswirkungen

Unternehmen müssen identifizierte negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt vermeiden oder wenigstens angemessen reduzieren.

Abhängig von den Umständen des Einzelfalls können folgende Maßnahmen geboten sein:

  • Unter Einbindung der betroffenen Interessenträger einen Präventionsplan zu entwickeln, der insbesondere auch qualitative und quantitative Metriken zur Messung von Verbesserungen enthalten soll;
  • Von direkten Geschäftspartnern die vertragliche Zusicherung einzuholen, dass sie die Einhaltung des Unternehmens-Verhaltenskodexes und erforderlichenfalls eines Präventionsplans sicherstellen. Im Hinblick auf potentielle negative Auswirkungen, die durch die genannten Maßnahmen nicht vermieden oder angemessen abgeschwächt werden könnten, kann das Unternehmen auch versuchen, einen Vertrag mit einem indirekten Partner zu schließen. Die Einhaltung der vertraglichen Zusicherung kann durch Industrieinitiativen oder durch unabhängige Stellen überwacht werden;
  • In Managementabläufe, Produktionsprozesse und Infrastrukturen zu investieren;
  • Kleinen und mittelgroßen Unternehmen (KMU) angemessene Unterstützung zukommen zu lassen, wenn die Einhaltung des Unternehmens-Verhaltenskodex die wirtschaftliche Tragfähigkeit des KMU gefährdet;
  • Unter Einhaltung kartellrechtlicher Vorgaben mit anderen Unternehmen zusammenzuarbeiten, um nachteilige Auswirkungen zu verhindern.

Wenn negative Auswirkungen nicht vermieden oder angemessen reduziert werden können, sind Unternehmen als ultima ratio verpflichtet, neue Geschäftsbeziehungen nicht einzugehen bzw. bestehende Beziehungen nicht auszubauen.

  • Pflicht zur Beseitigung bzw. Entschädigung negativer Auswirkungen

Unternehmen haben geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen zu beheben oder zumindest zu minimieren. Hierzu haben sie gegebenenfalls angemessene und der eigenen Verantwortung entsprechende Entschädigungen zu leisten.

  • Einführung angemessener Beschwerdemöglichkeiten

Unternehmen werden verpflichtet, allen Personen in der Lieferkette, die von einer Verletzung betroffen sein können, ein angemessenes Beschwerdeverfahren zu ermöglichen. Darüber hinaus sollen u.a. auch Gewerkschaften und Arbeitnehmervertreter sowie Menschenrechts- und Umweltorganisationen der Zivilgesellschaft das Beschwerdeverfahren nutzen können.

Beschwerdeführer sollen nicht nur das Recht haben, sich mit Vertretern des Unternehmens zu treffen, um schwerwiegende nachteilige Auswirkungen zu besprechen, sondern auch die Unternehmen aufgrund der Beschwerde angemessene Folgemaßnahmen treffen.

  • Verpflichtung zur Eindämmung des Klimawandels

Große Unternehmen sollen verpflichtet werden, einen Plan festzulegen, mit dem sie sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit dem Übergang zu einer nachhaltigen Wirtschaft und der Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 °C vereinbar sind. In diesem Plan soll auf der Grundlage angemessener Information ermittelt werden, inwieweit der Klimawandel ein Risiko für die Unternehmenstätigkeit darstellt bzw. sich auf diese auswirkt.

 

Pflichten der Geschäftsleitung aus der Lieferketten-RL?

Der RL-Entwurf der Kommission sah ursprünglich vor, dass Mitglieder der Unternehmensleitung bei Erfüllung ihrer Pflicht, im besten Interesse des Unternehmens zu handeln, die Konsequenzen ihrer Entscheidungen in Bezug auf Nachhaltigkeitsbelange, darunter auch die Menschenrechte, sowohl kurz-, mittel- als auch langfristig berücksichtigen müssen und für die Umsetzung und Überwachung der Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht persönlich verantwortlich sind.

Aufgrund der starken Bedenken der Mitgliedstaaten, dass dies einen unangemessenen Eingriff in nationale Bestimmungen über die Sorgfaltspflicht der Mitglieder der Unternehmensleitung darstelle, wurde die Bestimmung aus dem Kompromissvorschlages des Ministerrates gestrichen. Es bleibt insofern abzuwarten, ob sich eine entsprechende Verpflichtung für die Geschäftsleitung nach den Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament im finalen Text der RL findet.

Sanktionen und Durchsetzung der Lieferketten-Sorgfaltspflichten

  • Zivilrechtliche Haftungsregelungen

Zur Durchsetzung sieht der Entwurf LK-RL zivilrechtliche Haftungsregelung bei Verletzung bestimmter Sorgfaltspflichten vor. Die Haftungsregeln sollen auch dann zwingend anzuwenden sein, wenn das Rechtsverhältnis nach dem Recht eines Drittstaates zu beurteilen ist.

Unternehmen haften für Schäden, die durch rechtswidrige und schuldhafte Verstöße gegen die Pflichten zur Vermeidung und zur Beseitigung negativer Auswirkungen verursacht wurden.

Dieser neue zivilrechtliche Haftungstatbestand bedarf der Umsetzung in das nationale Recht der Mitgliedsstaaten und wird noch Anlass zu Diskussionen geben. In den Änderungsvorschlägen des Rates wurde das Recht der Opfer von Menschenrechts- und/oder Umweltbeeinträchtigungen auf vollständige Entschädigung jedenfalls ausdrücklich festgeschrieben.

  • Strafen

Der Entwurf LK-RL sieht „spürbare“ umsatzbezogene Geldbußen vor. Die konkrete Höhe der Sanktion sowie die zuständige nationale Behörde werden von den Mitgliedstaaten konkreter zu regeln sein. Ähnlich wie im Kartellrecht soll eine Kooperation mit den Behörden sowie die eigene Aufarbeitung von nachteiligen Auswirkungen bei etwaigen Sanktionen entsprechend berücksichtigt werden.

Bewertung und Ausblick

Der Kompromissvorschlag des Ministerrates hat zur Klarstellung hinsichtlich der verwendeten Begrifflichkeiten, des Anwendungsbereiches und der zivilrechtlichen Haftungsregelung beigetragen. Hervorzuheben ist, wie bereits erwähnt, insbesondere der Vorschlag des Rates, dass die EU-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung des Richtlinienentwurfs in nationales Recht nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob sie Finanzdienstleistungen in den Anwendungsbereich einbeziehen.

Nun ist das Europäische Parlament am Zug.

In Österreich gibt es bislang keine nationale Regelung ähnlich dem deutschen Lieferkettengesetz. Eine Haftung des inländischen Unternehmens gegenüber den Betroffenen der im Ausland von Tochter- oder Zuliefererunternehmen begangenen Menschenrechtsverletzungen wird daher ohne Vorliegen besonderer Umstände nach derzeitigem österreichischem Diskussionsstand überwiegend abgelehnt.

Angesichts der drohenden zivilrechtlichen Haftungsfolgen sowie der drohenden Sanktionen sollten Unternehmen aber spätestens mit Inkrafttreten der Lieferketten-RL beginnen, die Einhaltung ihrer Pflichten vorzubereiten und entsprechend in ihren Compliance-Systemen zu verankern.

 

Autor: Gerhard Fussenegger, Sebastian Reiter

Bei Fragen kontaktieren Sie bitte:
Gerhard Fussenegger
Sebastian Reiter

Praxisgruppe:
Kartellrecht

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Hinweis: Dieser Artikel stellt eine generelle Information dar und ist eine zusammenfassende Darstellung einer komplexen Thematik. Er erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit und kann eine individuelle Rechtsberatung nicht ersetzen. Sollten sie Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Ihre Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen. Wir freuen uns darauf, Sie unterstützen zu können.