COVID-19 Legal Update: Neuerungen im Insolvenzrecht

23. März 2020 – need2know

Der Nationalrat hat mit dem am 20.03.2020 beschlossenen 2. COVID-19-Gesetz die eher unbekannte Bestimmung des § 69 Abs. 2a IO dahin gehend geändert, dass dort die Wendung „Epidemie, Pandemie“ eingefügt wurde.
Inhaltlich bedeutet dies, dass nunmehr auch im Fall einer Epidemie oder Pandemie, wie derzeit vorliegend, die Frist für die Beantragung eines Insolvenzverfahrens 120 Tage beträgt. Bislang galt dies lediglich für Naturkatastrophen.

Dieser Beitrag befasst sich mit der Frage, ob die vorgenommene Änderung den sichtlich erwünschten Zweck, nämlich zu verhindern, dass Unternehmer vorschnell Insolvenzanträge für ihr Unternehmen einbringen, erfüllen kann.

  • 69 IO lautet in seinen Absätzen 1 und 2 (weiterhin unverändert):
  • Auf Antrag des Schuldners ist das Insolvenzverfahren sofort zu eröffnen. Die vom Schuldner an das Gericht erstattete Anzeige von der Zahlungseinstellung gilt als Antrag. Im Beschluss auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist jedenfalls das Vorliegen der Voraussetzungen für die örtliche Zuständigkeit zu begründen.
  • Liegen die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§§ 66 und 67) vor, so ist diese ohne schuldhaftes Zögern, spätestens aber sechzig Tage nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit zu beantragen. Schuldhaft verzögert ist der Antrag nicht, wenn die Eröffnung eines Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung sorgfältig betrieben worden ist.

Nunmehr gilt – legistisch durchaus sinnvoll – die in § 69 Abs. 2a IO genannte Frist von 120 Tagen – wie bereits eingangs erwähnt – auch für den Fall einer Epidemie oder Pandemie. Unverändert blieben allerdings die Bestimmungen in Abs 2, nach der die Frist nur dann zum Tragen kommt, wenn der Schuldner „ohne schuldhaftes Zögern“ vorgeht und „die Eröffnung eines Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung sorgfältig betrieben worden ist“.

Um beurteilen zu können, ob insolvenzrechtlich relevante Überschuldung vorliegt und daher eine Pflicht des Geschäftsführers/Vorstandes zur Stellung eines Insolvenzantrages besteht, ist im Falle der festgestellten rechnerischen Überschuldung eine Fortbestehensprognose zu erstellen.

Gegenstand der Fortbestehensprognose ist die Beurteilung der künftigen Zahlungsfähigkeit des Unternehmens innerhalb des primären Planungszeitraums (Primärprognose) sowie der darüber hinaus gehenden Überlebensfähigkeit des Unternehmens (Sekundärprognose). Der Umfang einer Fortbestehensprognose hängt vor allem von den Besonderheiten des jeweiligen Unternehmens ab. Die Größe des Unternehmens (oder der Unternehmensgruppe), die Anzahl der Mitarbeiter, die Summe des Betriebsvermögens sowie der erzielten Einnahmen und getätigten Ausgaben haben einen starken Einfluss auf die Anzahl der Parameter, die bei einer solchen Prognose zu berücksichtigen sind.

Als Primärprognose ist die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit für die nähere Zukunft glaubhaft, d.h. mit überwiegender Wahrscheinlichkeit, nachzuweisen.

Darüber hinaus ist an eine Fortbestehensprognose das Erfordernis der Erfüllung eines Sekundärzieles zu stellen. Es muss glaubhaft dargelegt werden können, dass durch die geplanten Maßnahmen in der weiteren Zukunft ein „Turnaround“ bzw. eine längerfristige positive Entwicklung erwartet und die Zahlungs- und Lebensfähigkeit aufrecht erhalten werden kann. Falls dies für einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren nicht erreicht werden kann, ist darzulegen, mit welchen anderen bzw. zusätzlichen Maßnahmen eine Befriedigung aller Gläubiger mit zumindest überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist. (Leitfaden Fortbestehensprognose 2016,)

Zeitgleich sind Sanierungsmaßnahmen einzuleiten, wie z.B. Stundungen zu verhandeln, Restrukturierungspläne zu erstellen, Bemühungen um Eigen- oder Fremdkapital anzustellen und insgesamt ein Sanierungskonzept zu erstellen. All dies hat in der gesetzlichen Frist von 60 oder nunmehr eben 120 Tagen zu geschehen.

Die nunmehr vorgenommene Gesetzänderung hat dies für die derzeitige Situation der österreichischen Unternehmen nicht abgeändert oder vorübergehend sistiert. Ein verantwortungsvoller Geschäftsführer/Vorstand sieht sich daher in dem Dilemma, dass er im Falle einer rechnerischen Überschuldung seines Unternehmens unverändert eine Fortbestehensprognose zu erstellen hat, um überhaupt in den Genuss der Frist des § 69 Abs. 2a IO (120 Tage) zu gelangen, wozu er derzeit aber in den meisten Fällen nicht in der Lage sein wird.

Ein schuldhaftes Zögern des Geschäftsführers/Vorstands liegt auch dann nicht vor, wenn er „die Eröffnung eines Sanierungsverfahrens mit Eigenverwaltung sorgfältig“ betrieben hat (vgl. § 69 Abs. 2 IO). Wie dies in der derzeitigen Situation der österreichischen Unternehmen vor sich gehen soll, bleibt gänzlich ungeklärt.

Es empfiehlt sich aber jedenfalls im Falle der rechnerischen Überschuldung des Unternehmens dringend Kontakt mit den Gläubigern zu suchen, um mögliche Stundungen zu erreichen. Bei den Finanzbehörden und den Banken wird hier einige Aussicht auf Erfolg bestehen. Bei Lieferanten und Dienstnehmern wird dies wohl eher nicht oder nur sehr schwer erreichbar sein, da diese durch die vorliegende Krise ebenfalls mehr oder weniger schwer betroffen sind.

Die Beiträge zur Sozialversicherung sind durch die ebenfalls mit dem 2. COVID-19-Gesetz neu eingeführte Bestimmung des § 733 ASVG „für die mit Betretungsverbot belegten Unternehmungen“ sowie „von Betriebsbeschränkungen oder Schließungen betroffenen Unternehmen … für die Beitragszeiträume Februar, März und April 2020 verzugszinsenfrei zu stunden“. Hier bedarf es keiner gesonderten Antragstellung oder Verhandlung mit dem Sozialversicherungsträger. Für alle anderen Unternehmen besteht eine Kann-Bestimmung, nach der diese Beiträge gestundet werden können, wenn „glaubhaft gemacht wird, dass diese Beiträge wegen der Coronavirus-Pandemie aus Gründen der Unternehmensliquidität nicht entrichtet werden können“.

Außerdem „sind in den Kalendermonaten März, April und Mai 2020 keine Insolvenzanträge nach der Insolvenzordnung (§ 65) wegen der Nichtentrichtung bereits fälliger Beiträge zu stellen“.

Zusammengefasst bietet die vorgenommene Gesetzesänderung eigentlich nicht das, was sie verspricht, da sie den Geschäftsführer/Vorstand eines mit Insolvenz bedrohten Unternehmens auch nicht vorübergehend von der Antragspflicht des § 69 IO befreit. Sinnvoller wäre es gewesen, den Beginn des Fristenlaufes nach hinten zu verschieben, z.B. dadurch, dass die 60 oder 120 Tagesfrist bis zu einem bestimmten Datum gehemmt ist.

Einem verantwortungsvollen und Haftungen vermeiden wollenden Geschäftsführer/Vorstand eines Unternehmens, das durch die derzeitige Ausnahmesituation in Schieflage geraten ist, kann nur dringend empfohlen werden, trotz der Fristverlängerung zur Antragstellung in der Insolvenzordnung insbesondere folgende Schritte/Maßnahmen zu setzen:

  • Beschaffung frischen Kapitals,
  • Vereinbarung von Stundungen und Ratenzahlungen mit den verschiedenen Gläubigergruppen (Banken, Finanzamt, Leasinggesellschaften etc.),
  • Prüfung der Inanspruchnahme einer ABBAG-Garantie zur Finanzierung des weiteren Geschäftsbetriebs oder einer Überbrückungsfinanzierung durch die ABBAG selbst,
  • Erarbeitung und Umsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen, insbesondere Kostensenkungsmaßnahmen, wie z.B.: Beantragung von Kurzarbeit, Anträge an Vermieter auf Reduktion des Mietzinses,
  • Erarbeitung eines adaptierten Geschäftsmodells.

Die Erstellung einer Fortbestehensprognose kann bei den meisten Unternehmen derzeit zwar begonnen aber wohl nicht sinnvoll zu Ende gebracht werden.

Bei Verletzung der Verpflichtung zur Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ist der Geschäftsführer den Gläubigern für den Schaden verantwortlich, den diese dadurch erleiden, dass bei rechtzeitiger Eröffnung des Insolvenzverfahrens die zu erzielende Quote entsprechend höher gewesen wäre (Altgläubiger) bzw. mit der insolventen Gesellschaft erst gar nicht in geschäftlichen Kontakt getreten wären (Vertrauensschaden der Neugläubiger). Die Beweislast, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln des Geschäftsführers eingetreten wäre, liegt beim Geschäftsführer (Beweislastumkehr!).

Autoren:
Georg Rupprecht, Bernhard Schatz

Praxisgruppe:
Insolvenz und Sanierung

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