Millionenstrafen für fehlende Lohnunterlagen verstoßen gegen das Unionsrecht – eine EuGH Entscheidung

26. September 2019 – need2know

Der EuGH hat entschieden, dass hohe Verwaltungsstrafen aufgrund des Kumulationsprinzips eine Verletzung der Dienstleistungsfreiheit bedeuten können und dadurch gegen das EU-Recht verstoßen.

Ausgangslage – Dienstleistungsfreiheit und Entsendungen

Aus der von der Europäischen Union gewährleisteten Dienstleistungsfreiheit folgt das Recht eines Unternehmers, Dienstleistungen vorübergehend auch in anderen Mitgliedstaaten zu erbringen und sich dabei auch eigenen Personals zu bedienen. Arbeitsrechtlich spricht man von einer Entsendung, wenn ein Arbeitnehmer während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als desjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet. Er unterliegt dabei weiterhin dem Recht seines Heimatstaates. Damit die Möglichkeit einer Entsendung nicht zu einem „race to the bottom“ bei Lohn- und Beschäftigungsbedingungen führt, bestehen für Entsendungen bestimmte Schutzvorschriften auf europäischer und nationaler Ebene.

Österreich hat diese Vorschriften – nach mehreren Änderungen – schließlich im Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) festgeschrieben, ist dabei aber in einigen Punkten über das unionsrechtlich Notwendige hinausgegangen. Die Sanktionen nach diesem Gesetz sind sehr streng – so streng, dass Österreich kürzlich Schelte von oberster Stelle, konkret vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, erhalten hat.

Der konkrete Sachverhalt – Millionenstrafen für fehlende Lohnunterlagen und Beschäftigungsbewilligungen

Begonnen hat alles mit einem Knall – einer explodierten Kesselanlage im Werk einer österreichischen Papierfirma. Ein österreichisches Unternehmen wurde mit Sanierungsarbeiten beauftragt und bediente sich dazu eines kroatischen Unternehmens. Im Herbst 2015 waren insgesamt 217 Arbeitskräfte auf der Baustelle beschäftigt. Von diesen Arbeitnehmern war die Mehrheit kroatischer, serbischer und bosnischer Herkunft. Zu dieser Zeit fand eine Kontrolle der Finanzpolizei statt – und sie fand Grund zur Beschwerde. § 7d Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (AVRAG) idF vom 1.5.2011 sah damals vor, dass der ausländische Arbeitgeber die Lohnunterlagen am Arbeitsort bereitzuhalten hat. Heute findet sich eine sehr ähnliche Bestimmung in § 22 LSD-BG. Ebendiese vollständigen Lohnunterlagen konnten der Finanzpolizei jedoch nicht vorgelegt werden. Ebenso stieß man sich an fehlenden Beschäftigungsbewilligungen nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) für etwa 200 Arbeitnehmer. Dass gegen die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns an sich verstoßen worden war, wurde indes nicht vorgeworfen.

Im Frühjahr 2017 lagen die Strafbescheide der Behörde (Bezirkshauptmannschaft) vor – und diese hatten es in sich. Die Behörde verhängte gegen den Geschäftsführer des kroatischen Unternehmens eine Geldstrafe von EUR 3.255.000, sowie gegen die Vorstände des österreichischen Werkunternehmens Geldstrafen von EUR 2.604.000 und EUR 2.400.000. Für den Fall der Uneinbringlichkeit waren Ersatzfreiheitsstrafen von 1.736 und 1.600 Tagen, somit mehr als vier Jahren, vorgesehen. Diese hohen Strafen ergaben sich aus dem Kumulationsprinzip, und daraus, dass durch eine Novelle zum AVRAG der Strafrahmen erheblich angehoben wurde (auf mindestens EUR 1.000 bis 10.000  pro Arbeitnehmer, bzw EUR 2.000 bis 20.000, wenn mehr als drei Arbeitnehmer betroffen sind).

Das angerufene Landesverwaltungsgericht hegte Zweifel an der Vereinbarkeit der österreichischen Regelungen mit dem Unionsrecht. Die strengen Strafnormen bei auch nur fahrlässigen Verstößen, die noch dazu Mindeststrafen in beträchtlicher Höhe vorsehen, bei mehreren Verstößen ohne eine Obergrenze kumulieren und bei Uneinbringlichkeit zu Ersatzfreiheitsstrafen führen, könnten der Dienstleistungsfreiheit nach Art 56 AEUV und den Grundrechten widersprechen. Deshalb legte das angerufene Landesverwaltungsgericht dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Entscheidung des EuGH – Kumulationsprinzip kann gegen das Unionsrecht verstoßen

Am 12.9.2019 fällte der EuGH sein Urteil. Eine Norm wie die österreichische sei geeignet, die Ausübung dieser Freiheit weniger attraktiv zu machen. Zwar verfolge die Regelung berechtigte Ziele – den sozialen Schutz der Arbeitnehmer sowie die Bekämpfung von Sozialbetrug. Doch die Härte der verhängten Sanktion müsse der Schwere des mit ihr geahndeten Verstoßes entsprechen. Das sah der EuGH hier nicht als gegeben an. Die wirksame Durchsetzung der Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen und Einholung von verwaltungsbehördlichen Genehmigungen könnte auch mit gelinderen Mitteln (zB Geldstrafen in geringerer Höhe und ohne Verknüpfung mit Ersatzfreiheitsstrafen) erreicht werden. Daher urteilte der EuGH, dass die Dienstleistungsfreiheit nationalen Regelungen wie den im Verfahren strittigen entgegensteht.

Ausblick – die möglichen Folgen

Das LSD-BG bedarf nun einer Reparatur, ebenso das AuslBG. Strafen, die Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten – oder inländische Unternehmen als Beschäftiger von deren ausländischen Arbeitskräften – wegen fehlender Lohnunterlagen oder Beschäftigungsbewilligungen bezahlt haben, könnten, soweit noch nicht verjährt, möglicherweise zurückgefordert werden. Wie weit die Wirkungen dieser Entscheidung sonst noch gehen werden, wird erst die Zeit weisen. Festzuhalten ist, dass die Argumentation des EuGH – Millionenstrafen durch das Kumulationsprinzip ohne Obergrenze samt Ersatzfreiheitsstrafen können eine unverhältnismäßige Beschränkung einer Grundfreiheit sein – sich über LSD-BG und AuslBG hinaus auch auf andere österreichische Verwaltungsgesetze, vielleicht auch über bürokratische Formalien und Genehmigungen hinaus auf den Tatbestand der Unterentlohnung selbst, ausdehnen lässt, und somit womöglich das gesamte LSD-BG nun unter Rechtfertigungsbedarf steht.

Unabhängig von unionsrechtlichen Freizügigkeiten illustriert diese Entscheidung sehr anschaulich, zu welch unsachlichen Ergebnissen das verwaltungsstrafrechtliche Kumulationsprinzip im Einzelfall führen kann. Eine Abschaffung dieses Prinzips steht schon seit längerem auf der Agenda der Politik, ohne dass sich viel bewegt hat. Ob sich angesichts des zunehmend volatilen politischen Klimas hier in näherer Zukunft eine Lösung findet, bleibt abzuwarten.

EuGH Entscheidung

Autor:
Philipp Bertsch

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Praxisgruppen:
Arbeitsrecht
Öffentliches Wirtschaftsrecht

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